R. Böhme: Orte der Erinnerung – Wege der Versöhnung

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Titel
Orte der Erinnerung - Wege der Versöhnung. Vom Umgang mit dem Holocaust in einer deutschen Stadt nach 1945


Autor(en)
Böhme, Rolf
Erschienen
Freiburg/Basel/Wien 2007: Herder Verlag
Anzahl Seiten
128 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heiko Haumann

Im Juni 1985, nachdem in Brasilien der Leichnam des 1979 dort verstorbenen SS-Arztes im Konzentrationslager Auschwitz, Josef Mengele, identifiziert worden war, wurde Rolf Böhme, von 1982 bis 2002 Oberbürgermeister in Freiburg i. Br., damit konfrontiert, dass dieser häufig in Freiburg gewesen war und enge familiäre Beziehungen dorthin hatte. Böhme war fassungslos: Er hatte das nicht gewusst, obwohl – wie sich dann herausstellte – viele Ämter mit dem Fall befasst gewesen waren. Mit dieser Erinnerung beginnt Böhme sein Buch. Ein typischer Vorgang: Welche Stadt in Deutschland hatte nicht einen Nazi-Verbrecher in ihren Mauern geborgen? Welche Stadt hatte sich ihrer Vergangenheit während des «Dritten Reiches» 1985 bereits gestellt? War es nicht eher die Regel, dass die Verantwortlichen versuchten, die lokalen Geschehnisse, die durchaus noch zahlreiche lebende Personen betrafen, aus der öffentlichen Diskussion herauszuhalten?

Rolf Böhme war umso mehr betroffen, als ihm und seiner Frau Margret die Aufarbeitung der Geschichte Freiburgs im Nationalsozialismus und insbesondere des Schicksals der jüdischen Bürgerinnen und Bürger ein Herzensanliegen ist. Fast zur gleichen Zeit wie der Schock über Mengele fand der Spatenstich für den Bau der neuen Synagoge statt; die alte war im Novemberpogrom von 1938 abgebrannt worden. Anlässlich dieses Ereignisses hatte der Oberbürgermeister dafür gesorgt, dass diejenigen Jüdinnen und Juden, die die Shoah überlebt hatten und deren Adressen ausfindig zu machen gewesen waren, nach Freiburg eingeladen worden waren. Weitere Besuche ehemaliger Freiburger Juden folgten ebenso wie Gegenbesuche in die USA und nach Israel oder Reisen von Freiburger Delegationen nach Gurs, dem Ort in den Pyrenäen, in den ein Grossteil der badischen Juden im Oktober 1940 deportiert worden war.

Für die verschiedenen Ereignisse, die zur Sprache kommen, liefert der Autor knappe Abrisse der historischen Zusammenhänge, damit die Darstellung verständlich wird. Sinnvollerweise hat er aber darauf verzichtet, mit geschichtswissenschaftlichen Werken in Konkurrenz zu treten. Im Mittelpunkt stehen seine persönlichen Erinnerungen. Häufig verbindet er sie mit den Schicksalen von Menschen, die er in Gesprächen erfahren hat und denen im Stadtarchiv nachgegangen worden ist. So ist ein sehr unmittelbares, oft bewegendes Buch entstanden.

Immer wieder war Böhme überrascht, wie präsent Freiburg noch in den Köpfen, in den Erinnerungen der Jüdinnen und Juden war, mit denen er sprechen konnte, aber auch, wie wenig die ältere Generation der Freiburger vom Schicksal dieser Verfolgten hören wollte. Deshalb setzte er sich sehr ein für entsprechende Forschungen an der Universität und im Stadtarchiv, für öffentliche Veranstaltungen, die diese bekannt machen sollten, für die Förderung anderer Initiativen, für Orte des Gedenkens. Ihm lag an einer lebendigen Erinnerung, nicht an Ritualen. Sein Bestreben, die Geschichte wach zu halten, beinhaltete auch die Auseinandersetzung mit heutigen Formen des Antisemitismus, des Rassismus, der Ausländerfeindlichkeit. Das gehörte für ihn zur Aussöhnung mit denen, denen Unrecht geschehen war, und zu seinem Wunsch, in Freiburg eine Atmosphäre des «Miteinander Lebens» zu schaffen. Böhme weiss, dass «es nicht wieder gut wird», wie es eine aus Freiburg stammende Jüdin ausdrückte. Aber er weiss auch, dass die einzige Möglichkeit, mit dieser Last umzugehen, darin besteht, sich der Vergangenheit zu erinnern und daraus Folgerungen für das eigene Handeln zu ziehen.

Zitierweise:
Heiko Haumann: Rezension zu: Rolf Böhme: Orte der Erinnerung – Wege der Versöhnung. Vom Umgang mit dem Holocaust in einer deutschen Stadt nach 1945. Freiburg/Basel/Wien, Verlag Herder, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 244-245.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 244-245.

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